7 kritische Fragen an Verdi über den Streik bei Amazon

Interview und viele Fragen wegen des Amazon Streiks Ich präsentiere voller Stolz: mein erstes eigenes Interview. (Bild: shutterstock / wellphoto)

Wie antwortet Ver.di auf schwierige Fragen, wollte ich wissen

 

Erstmal war ich überrascht überhaupt eine Rückmeldung zu bekommen. Ein kleiner Blog im Internet bekommt exklusiv alle seine Fragen ausführlich und mit Sorgfalt beantwortet. Ich finde das toll, großes Dankeschön. Da war ich schon echt stolz drauf!

 

Auf Twitter wird gescherzt: “Pro Tag wurden 2016 Amazon knapp 42 Roboter, streik-resistent ohne Tarifvertrag, angestellt.” Aber auch mir gehen tatsächlich ein paar kritische Fragen durch den Kopf und ich bin mir noch nicht wirklich sicher, was ich davon halten soll. Also habe ich kurzerhand entschlossen alle meine Vorbehalte in einige Fragen zu bündeln und habe sie an die Pressestelle von Ver.di geschickt.

 

Interview und viele Fragen wegen des Amazon Streiks

Ich präsentiere voller Stolz: mein erstes eigenes Interview. (Bild: shutterstock / wellphoto)

 

Im Gespräch mit Ver.di-Sprecherin Eva Völpel, ver.di-Bundesvorstand, Pressestelle.

 

1. Sind die Streiks bei Amazon gewissermaßen ein „Prestigeprojekt“?

 

Antwort: Die Streiks sind kein Prestigeprojekt. Beschäftigte bei Amazon organisieren sich in ver.di, weil sie bessere Arbeitsbedingungen fordern. Sie verlangen die Anwendung eines Tarifvertrags, der ihnen rechtlich verbindlich bessere Arbeitsbedingungen garantiert (Tarifverträge regeln nicht nur die Frage von Entlohnung, sondern auch von Zuschlägen, Urlaubstagen, Arbeitszeiten etc.). Es ist ein demokratisches Grundrecht von Arbeitnehmern in Deutschland, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren von einem Arbeitgeber zu verlangen, dass er mit dieser Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließt. Dieses Grundrecht tritt Amazon mit Füßen.

Es geht also nicht um den von Amazon immer behaupteten Konflikt Logistik versus Einzelhandel, sondern darum, dass Amazon prinzipiell gewerkschaftsfeindlich eingestellt ist und keinen Tarifvertrag anwendet bzw. anwenden will. Ein Beispiel zeigt die Folgen für die Beschäftigten: In Leipzig gab es bis Anfang 2016 29 Tage Urlaub, dann hat Amazon willkürlich einen Tag gestrichen. So etwas wäre bei Existenz eines Tarifvertrags nicht einfach möglich.
Ein weiteres Beispiel, warum die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen bei Amazon so wichtig sind: Die Krankenquoten bei Amazon liegen mit 15, 20 Prozent oder teilweise sogar mehr weit über dem bundesweiten Durchschnitt. Das ist ein Skandal. Arbeitshetze, Leistungsdruck, permanente Kontrollen sowie die körperlich anstrengende Arbeit bei Amazon laugen die Beschäftigten aus.

2. Warum beteiligt sich der größere Teil der Belegschaft bei Amazon nicht an den Streiks?

Antwort: Wir haben pro Schicht zum Teil ein Drittel der Belegschaft im Streik (denn: längst nicht alle Gesamtbeschäftigten, auf die Amazon gerne verweist, sind täglich im Einsatz, s. hohe Krankenquoten, Urlaubstage, Überstundenausgleich etc.). Wir arbeiten daran, dass diese Zahl wächst und verzeichnen bei jedem Streik neue Eintritte in ver.di. Allerdings erfordert die Organisierung in einer Gewerkschaft und eine Teilnahme am Streik Durchhaltevermögen und Mut. Nicht alle Beschäftigten sind bereit, sich so zu exponieren, zumal viele mit befristeten Verträgen oder Aushilfskräfte auf eine Verlängerung ihres Vertrags hoffen.

 

3. Habt ihr Angst, dass der größte Versandhändler Europas zum Trendsetter wird?

 

Antwort: Amazon in die Tarifbindung zu bringen, ist auch enorm wichtig, weil das Unternehmen als großer Player den Markt umwälzt. Es setzt die Unternehmen im stationären Handel sowie andere Online- und Versandhändler unter Druck. Der Wettbewerb, den Amazon anheizt, geht also auch zulasten tariftreuer Unternehmen, nicht nur der Beschäftigten. Es wäre kein gutes Zeichen für die Arbeitnehmer in Deutschland insgesamt, wenn Amazon langfristig mit seiner gewerkschaftsfeindlichen Haltung durchkommt.

 

Verdi vereint mit seiner Gewerkschaft viele Mitarbeiter von Amazon und ruft zum Streik auf

Amazon Mitarbeiter streiken seit Jahren für faire Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag. (Bild: rawpixel)

 

4. Könnte es nicht sein, dass aufgrund der Tarifverhandlungen Amazon mit seinen Logistikzentren ins Ausland abwandert und andere es ihnen nachtun?

Antwort: Dazu gibt es derzeit überhaupt keine Hinweise. Im Gegenteil: Amazon plant in Deutschland mit weiteren Versandzentren zu expandieren. Die eng getakteten Lieferversprechen setzen einer Verlagerung ins Ausland per se Grenzen.

 

5. Macht euch das Thema Automisierung Bauchschmerzen oder habt ihr Antworten auf dieses große Thema?

 

Antwort: Die Digitalisierung und damit auch weiter zunehmende Automatisierung wird die Wirtschaft absehbar umwälzen. Damit geraten auch Arbeitsplätze in Gefahr. Wie und in welchem Ausmaß genau, kann derzeit niemand exakt voraus sagen. Wichtig ist, dass Beschäftigte bei anstehenden Umbrüchen für neue Aufgaben qualifiziert werden, um nur einen Aspekt in einer breiten Debatte zu nennen.

 

6. Ist es unmoralisch wenn ich immer noch bei Amazon bestelle?

 

Antwort: Wir rufen nicht zum Boykott von Amazon auf, weil die Beschäftigten natürlich ihre Arbeitsplätze behalten wollen. Als Kunde kann man sich allerdings überlegen, alle möglichen Wege zu nutzen, um die Beschäftigten in ihrem Kampf um Tarifbindung zu unterstützen. Man kann an Amazon schreiben und seinen Protest ausdrücken, Beschäftigte in Streiks vor Ort unterstützen, Veranstaltungen organisieren, Diskussionen führen etc. ver.di hat u.a. diesen Protestaufkleber für Amazon-Retouren entworfen: https://www.amazon-verdi.de/4486

Ob es moralisch vertretbar ist, bei Amazon zu bestellen, muss jeder mit Blick auf das gesamte Geschäftsmodell des Konzerns für sich beantworten.

 

7. Wie sollten sich junge Leute heute ausbilden, damit sie womöglich erst gar nicht in eine solche unangenehme Arbeitssituation kommen?

 

Antwort: Junge Menschen können sich vor ihrer Ausbildung über eine Unternehmen bzw. über die Arbeitsbedingungen in einer Branche informieren. Allerdings werden sie in jeder Branche auf sehr unterschiedliche Arbeitgeber treffen. Wichtig ist es, sich bereits als Auszubildender gewerkschaftlich zu organisieren, seine Rechte zu kennen und sich mit anderen Kollegen im Betrieb gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Eine Gewerkschaft lebt vom Engagement ihrer Mitglieder und sie kann nur so stark sein, wie sich die einzelnen Beschäftigten in ihr engagieren. Nur gemeinsam werden wir die Arbeitsbedingungen verbessern.

 

Herzliche Grüße

Eva Völpel

 

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Vielen Dank an Frau Völpel und die Gewerkschaft für dieses Interview. Es war mir eine große Ehre, dass Sie diese Fragen beantworten konnten.

Ist es nicht beeindruckend wie schnell man tatsächlich journalistischem Handwerk nachgehen kann in der heutigen Zeit wenn einen etwas unter den Zehenspitzen kitzelt? Ich freue mich jedenfalls, dass ich die Gelegenheit zu diesem Austausch hatte und bin happy, wenn viele weitere folgen!

Vielleicht auch mit dir?

 

Dein Luis

 

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